© Individuelle Produkte entstehen durch Handarbeit
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KOSTBARE ZEIT 

Handwerkliche Bäcker sind Qualitätsfanatiker. Mit professioneller Erfahrung und einem G´spür für den Teig geben sie jeden Tag ihr Bestes.

Handwerkliches Backen ist in vielerlei Hinsicht ein Qualitätsmerkmal und eine wichtige kulturelle Errungenschaft: Aber was macht das handwerkliche Backen eigentlich aus? Stellvertretend für die zahlreichen kleinen Betriebe im Entdeckerviertel erklärt das der junge Bäckermeister Michael Zagler von der gleichnamigen Bäckerei: „Wir betreiben unsere Bäckereien alle in zweiter, dritter oder vierten Familiengeneration. Wir arbeiten mit persönlichen, in der Bäckerfamilie überlieferten Rezepten und Zubereitungen, mit der jeder seinen Broten eine individuelle Handschrift verleiht. Fast alles, was wir in unseren Backstuben produzieren, basiert auf 100-%-Handarbeit. Wir sind die Bewahrer der Vielfalt.“

Handwerkliches Wissen trägt viel dazu bei, dass Brot und Gebäck lange frisch und aromatisch bleiben. Auch hier kommt es auf das handwerkliches Geschick beim Kneten und Formen des Teigs zum gewünschten Brottyp an: „Unser Natursauerteig ist für die Qualität sehr wichtig, weil wir dabei die Aromatik, die Haltbarkeit und die Konsistenz  unserer Teige und letztlich der Brote positiv beeinflussen", erläutert Bäckermeister Michael Hellstern. Lukas Höllbacher von der Klosterbäckerei Höllbacher ergänzt: „Beim Aufarbeiten des Teigs ist der Mensch der Maschine überlegen. Basis ist die praktische Bäckerausbildung, und mit der Berufserfahrung kommt ein Gespür für den Teig: was er braucht und wie er sich verhält. Das kann eine Maschine nicht." 

© Durch kunstvolles Flechten des Teigs entsteht ein Mohnflesserl - jedes Stück ein Unikat

NATÜRLICH SAUER
Typisch für die handwerklichen Bäcker ist die Arbeit mit Natursauerteig.  Er macht Brot g´schmackig und bekömmlich und benötigt ausreichend Zeit für seine Reifung. Der Natursauerteig ist auch ein Symbol für die Renaissance des Bäckerhandwerks. Eigentlich muss der Mensch bei der Produktion dieses Teiges ja gar nicht so viel mithelfen. Verrührt man Mehl und Wasser zu gleichen Teilen zu einem Teig und lässt diesen bei Zimmertemperatur stehen, dann treten Milliarden von Mikrolebewesen und Hefepilzen automatisch in Aktion. Sie sind sowohl im Wasser, im Mehl, in der Luft und in der Backstube vorhanden. Sie bringen eine Gärung in Gang, die vor allem für Roggenteig die Voraussetzung ist, dass daraus ein bekömmliches Genussprodukt wird, das im Ofen schön aufgeht.

Die Bäcker sind die fachkundigen Initiatoren und Begleiter dieses Gärprozesess: ihre Herausforderung ist die sogenannte Teigführung. Als Teigführung bezeichnet man die Herstellung eines Teiges über eine oder mehrere Produktionsstufen, wobei die Temperatur des Teiges und in der Backstube kontrolliert und reguliert werden muss. Die meisten Zeit während der Teigführung ruht der Teig unbehelligt in seinem Bottich. Doch die Ruhe ist nur äußerlich. Im Inneren rumort der Teig, er gärt vor sich hin. Dabei entweichende Gase sorgen für ein stetiges, sehr gemächliches Blubbern.

Während der Gärung entstehen, neben anderen Nebenprodukten, zwei Säuren im Teig. Zum einen die Milchsäure, die im Brot für mild-saures Aroma sorgt, sowie Essigsäure, die die langkettigen Eiweißmoleküle wie Gluten im Teig zersetzt (siehe auch Seiten 32 bis 35). Sie lockern den Teig und verbessern die Verdaulichkeit, das Aroma, den Geschmack und die Haltbarkeit. Dieser Prozess wird daher auch als Säuerung oder Versäuerung des Teiges bezeichnet.

Mit Natursauerteigen arbeiteten schon die Bäcker im antiken Ägypten und selbstverständlich machen das auch die handwerklichen Bäcker im Entdeckerviertel. In jeder Bäckerei gibt es einen Bottich mit Natursauerteig als „lebendigen“ Teigvorrat, das sogenannte Anstellgut. Jeden Tag wird mit einem frisch zubereiteten Teig gearbeitet. Zum Start der Teigproduktion werden Mehl, Wasser und Salz (und andere Brotgewürze?) in einem neuen Teigkessel gemischt. Dazu kommt, als wichtige Backzutat, eine Portion vom lebendigen, bereits gesäuerten Anstellgut. Dadurch wird der natürliche Gärprozess im frisch angesetzten Teig aktiviert.

© So kommen die Löcher in die Kruste

DAS „FÜTTERN“ DES NATURSAUERTEIGES
Stellvertretend für die Bäcker erklärt Rudolf Stranzinger von der Bio-Bäckerei Stranzinger, wie dreistufige Natursauerteigführung funktioniert. Als letzte Aktion ihrer Nachtschicht setzen die Bäcker den Natursauerteig am Vormittag für die kommende Nacht an. Dazu wird ein Grundteig in einem Gärbottich angesetzt und das erste Mal „gefüttert“ – So sagen wir Bäcker, wenn wir einem gärenden Teig Mehl und Wasser zugeben, quasi als frische Nahrung für den Gärprozess“, erklärt Rudolf Stranzinger: „Dabei ist die richtige Temperatur wichtig. So steuern wir die Aromenbildung und halten den Teig aktiv“. Am späteren Nachmittag folgt die zweite Fütterung des Teiges. Zum Start der Nachtsicht rund um Mitternacht wird ein drittes Mal „gefüttert“.

Der Teig ruht dann noch etwa eine Stunde, bis er geknetet und händisch „aufgearbeitet“ wird. In diese Phase portionieren die Bäcker den Teig passend zur Größe des Brots. Der Teig wird zu Brot „zusammengeschlagen“ und in Form gebracht. Das kann in einem flachen Kasten erfolgen, oder, für runde Brote, in einem Simperl, einem bemehlten Körbchen. Dann gibt man dem ungebackenen Teigling noch eine weitere halbe Stunde Zeit für Reifung und Säurebildung. Erst dann werden die Laibe in den Ofen eingeschossen.

© Der Natursauerteig - das Symbol für die Renaissance des Backhandwerks

MIT GESCHICK ZUM GEBÄCK
Wie jedes Brot sind auch Semmeln, Mohnflesserl und anderes Kleingebäck das Ergebnis von handwerklichem Geschick und professioneller Erfahrung. Wer den Unterschied des Geschmacks und des Mundgefühls zwischen Maschinen- und Handsemmel bewusst probiert, weiß, wovon hier die Rede ist. Handwerksbäcker wie Stefan Kraxenberger von der Bäckerei Kraxenberger zaubern aus einem flachen, runden Teigstück mit ein paar Handgriffen eine runde, bauchige Semmel. Dabei wird mit dem Handrücken eine Rille in den Teig gedrückt, über die der Teig dann noch vier weitere Male eingeschlagen wird. Das letzte Zipferl des Teigs wird dann mit dem Spitz voran in das mittlere Loch der Semmel gesteckt. „Semmel einschlagen“ nennt man diese Handgriffe, die zu den ersten Fertigkeiten gehören, die junge Bäckerlehrlinge lernen. In 15 Minuten im Ofen geht das Gebäck schön auf, die Krume wird weich und fluffig, die Kruste erfreut mit röstigen Backaromen.

Beim Salzstangerl wird ein ovales Teigstück eingerollt. Für ein Salzweckerl wird ein solches mit beiden Daumen von links und rechts mehrmalig eingefaltet, und zum Abschluss wird quer über den Rücken des Teiglings ein kleiner Grat händisch aufgezupft. An diesem Grat bricht der Teig im Ofen und sorgt für die typische Kruste eines Weckerls. Beim Mohnflesserl wird hingegen geflochten, je nach Gewohnheit mit einem Teigstrang oder mit zwei Strängen, die wie Zöpfe zusammengeflochten werden. Für manche Süßspeisen werden auch drei oder mehr Teigstränge zum Endprodukt verflochten. „Bei uns hat Gebäck einen großen Stellenwert. Pro Tag brauchen wir vier bis viereinhalb Stunden dafür, das ist mehr Zeit als für unser Brot“, erklärt Stefan Kraxenberger. „Von unseren Kunden wissen wir, dass sie den geschmacklichen Mehrwert schätzen, der durch die Handarbeit in der Backstube geboten wird.“ Ihr Wissen und ihre praktischen Fertigkeiten geben die Bäckerinnen und Bäcker im Entdeckerviertel an ihre MitarbeiterInnen und die eigenen Kinder weiter, die bereits im Betrieb arbeiten. So bleibt die Backtradition lebendig und die Brotkultur hochwertig. Genau betrachtet ist dieser Know-how-Transfer durchaus mit der „Anfütterung“ von Teigen vergleichbar.

EIN TAG IN DER BACKSTUBE 
In einer Bäckerei ist rund um die Uhr etwas zu tun. Vom Backen und Verpacken, bis zum Gaifahren und den Betrieb der hauseigenen Cafés und Shops. So in etwa verteilen sich die verschiedenen Tätigkeiten auf die 24 Stunden des Tages. Und am Tag darauf geht es genau so weiter.

0 bis 3 Uhr: Fertigstellung der Teige, Formen der Brote und Gebäck, Brotbacken
3 bis 6 Uhr: Formen und Backen von Gebäck und Mehlspeisen, Verpacken der Waren in Transportkisten, Auslieferung an die Kunden, Öffnen des Bäckerladens

6 bis 9 Uhr: Hochbetrieb im Bäckerladen und Café, Auslieferung wird abgeschlossen. Ansetzen frischer Teige, Reinigung der Backstube

9 bis 12 Uhr: Hochbetrieb im Bäckerladen und Café
15 bis 18 Uhr: Bäckerladen und Café sind nach wie vor geöffnet. Zweite Fütterung des Teigs

18 bis 21 Uhr: Sofern die Bäckerei kein Abendcafé führt, ist das die ruhigste Zeit des Tages.

21 bis 24 Uhr: Erste Vorbereitungen für den nächsten Tag in der Backstube

© Der Teig für jedes Brot wird händisch gewogen
© Bei großer Hitze entstehen die typischen Back- und Röstaromen
© Stückgare - bevor das Brot in den Ofen kommt „ruht" es im Simperl, einem bemehlten Körberl

BÄCKERSPRACHE
Wie jedes Handwerk hat auch das Backen eine eigene Sprache, mit der es seine Tätigkeiten und Prozesse beschreibt. Die wichtigsten Vokabeln der Bäckersprache sind hier erklärt:

Anstellgut: Das Anstellgut ist ein Sauerteig, der nicht verbacken wird, sondern für die spätere Verwendung in der Backstube bei einer stabilen Temperatur gelagert wird. Wird ein frischer Teig mit Mehl, Wasser und Salz angesetzt, wird auch eine Menge vom Anstellgut beigemischt, um die Säuerung des neuen Teigs in Schwung zu bringen.

Aufarbeiten: Wenn der Teig fertig ist, wird er von den Bäckern aufgearbeitet. Der Teig wird geknetet und in die gewünschte Brotform gebracht.

Dreistufige Natursauerteigführung: Ein Natursauerteig wird meist in drei Stufen geführt. Drei Mal wird mit einigen Stunden Abstand dem Teig Anstellgut beigemengt, um die Säuerung (Gärung) des Teigs am Laufen zu halten. Raum- und Teigtemperatur werden dabei kontrolliert.

Einschießen: So wird der Vorgang genannt, wenn ein Blech mit Teiglingen in den Ofen geschoben wird, in dem daraus fertige Brote werden.

Gärung: Vermengt man Mehl mit Wasser und lässt diese Mischung stehen, dann startet durch Mikroorganismen und Hefepilze ein natürlicher Gärprozess. Dabei bilden sich unter anderem Milchsäure, die für ein mild-säuerliches Aroma sorgt, sowie Essigsäure, die langkettige Eiweißmoleküle wie Gluten zerlegt. Man spricht daher von einem natursauren Teig

Gaifahren: Das „Gai“ ist die Gegend, in der der Bäcker seine Kunden im Handel, in der Gastronomie oder auch privat beliefert. Stellt er seine Brote und Gebäcke zu, ist er „gaifahren“

Krume: Das lockere, weiche Innere eines Brots, das von der Kruste umgeben ist.

Kruste: Wenn die Brote in den heißen Ofen eingeschossen werden, bilden sich an der Oberfläche harte Krusten. Nach der vom französischen Chemiker Louis Camille Maillard erstmals im Jahr 1913 wissenschaftlich analysierten „Maillard-Reaktion“ entwickeln sich die typischen Röstaromen.

Simperl: Das Simperl ist ein kleines, etwas bemehltes Körberl, in das frisch geformte Brote gelegt werden, um ihre Form zu behalten und um bis zum Backen noch nachzureifen. Das Simperl darf nicht in den Backofen mit eingeschossen werden!

Stückgare: Mit Stückgare meint man die letzte Ruhephase von geformten Teiglingen vor dem Backen.

Teig anfüttern: Während der mehrstufigen Führung eines Sauerteigs wird dem Teig mit mehreren Stunden Zeitabstand Anstellgut beigemengt, um die Gärung bzw. die Säuerung des Teigs aktiv zu halten.

Teigführung: So wird der gesamte Prozess vom Mischen der Zutaten bis zum Backen bezeichnet. Die Bäcker kontrollieren diesen Prozess, vor allem Faktoren wie Raumtemperatur, Teigtemperatur, Wassergehalt, Gardauer und Teigruhe. Unterschiedliche Brote und Gebäcke benötigen meist auch unterschiedliche Teigführungen.

Teigruhe oder Stockgare: Beide Begriffe bezeichnen die Ruhe- und Gärphase eines Teigs bis zum Aufarbeiten durch die Bäcker.