© Systematisches Verkosten erweitert die Geschmacksempfindungen
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WIR MÜSSEN REDEN...

Wer Brot als Genussmittel beschreiben möchte, braucht dazu die passenden Vokabeln. Die Bäckerinnung Österreichs hat deswegen die „Österreichische Brotansprache“ erarbeiten lassen.

Wenn Weinfans über ihre Lieblingsweine diskutieren, dann können sie das auch deswegen tun, weil es eine weltweit vergleichbar Weinsprache gibt, mit der Weine beschrieben werden können. Ähnliches gibt es für Bier, Whiskey und Käse. Die „Akademie Deutsches Bäckerhandwerk“ entwickelte eine Brotsprache, die aber eher für die Kommunikation auf Expertenebene geeignet war. Schon davor gab es das „Schweizer Brot-Aromenrad“ mit 69 Begriffen zur Beschreibung von Geruch und Geschmack von Broten. Die österreichische Bäckerinnung ließ auf Basis dieser Erkenntnisse eine „Österreichische Brotansprache“ ausarbeiten, die einfacher, verständlicher und praxisorientierter sein sollte als die beiden anderen Ansätze. Dazu spannte die Innung neun Bäckermeister aus allen Bundesländern mit drei Ernährungswissenschafterinnen zusammen. Gemeinsam verkostete und beschrieb diese Gruppe 44 verschiedene Brote aus ganz Österreich, um möglichst viele Details der Beschreibung von Broten erfassen zu können. 

KLARTEXT STATT FACHCHINESISCH
Eva Derndorfer, Ernährungswissenschafterin und erfahrene Sensorikerin, war Teil dieses Verkostungspanels: „Unser Ziel war es einfache, für KonsumentInnen nachvollziehbare Begriffe zu definieren, mit denen sich das Aussehen, der Geruch, der Geschmack und die Textur von Broten klar beschreiben lässt“. Zudem sollte über die Brotsprache auch die Wertschätzung für Brot bei den KonsumentInnen gesteigert werden. Erklärt und durch Anwendungsbeispiele ergänzt ist die Brotansprache im Buch „Brot im Klartext“ (Trauner Verlag), zu dem Eva Derndorfer unter anderen das Kapitel über Brotsensorik beigetragen hat. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Verkostungsmethodik und entwickelte dazu auch ein geeignetes Verkostungsformular. „Ich empfehle jeder Bäckerei Brote mit den MitarbeiterInnen aus der Backstube und dem Verkauf gemeinsam zu verkosten und zu beschreiben“, rät Eva Derndorfer. Tipps, wie man dabei methodisch vorgeht, gibt es im Buch. In einem nächsten Schritt sollten die Brotbeschreibungen auch den Weg zu den KundInnen finden. Dazu eignet sich jedes Verkaufsgespräch sowie „Brotvisitenkarten“ in der Verkaufstheke mit den wichtigsten Infos zur Beschreibung der Brote.

DIE BROTFLÜSTERIN
Eine, die mit ihren Gästen sehr oft über Brot spricht, ist Viktoria Hönegger vom Hildegard Naturhaus. Sie leitet das Gesundheitszentrum mit Frühstückspension gemeinsam mit ihrem Mann Gerhard. Ihre sensorische Schulung hat Viktoria Hönegger 2021 beim Zertifikatslehrgang „Brotsommelier/Brotsommeliére“ am LFI (Ländliches Fortbildungsinstitut) in Graz absolviert. Sie bäckt für ihre Hausgäste Brot und Gebäck. Einige ihrer Brotkreationen wurden auch bei offiziellen Brotverkostungen in Oberösterreich mit der Höchstwertung „Gold“ prämiert – zuletzt ihr „Dinkel-Kasbrot“. Sie bietet regelmäßig Brotverkostungen an, die für alle Brotfans offen und buchbar sind.
„Es ist immer wieder schön zu sehen, wie TeilnehmerInnen die Geschmackswelt von Brot bei einer Verkostung für sich neu entdecken“, so Viktoria Hönegger: „Das liegt auch daran, dass Brot ein alltägliches Lebensmittel ist und oft nur beiläufig gegessen wird.“ Erklärtes Ziel ihrer Verkostungen ist es, das Bewusstsein der TeilnehmerInnen für die Vielfalt an Aromen und Texturen im Brot wieder zu schärfen.

Überraschend kommt für die TeilnehmerInnen meist die Erkenntnis, dass das, was sie als Geschmack bezeichnen, zu einem großen Teil über den Geruchssinn definiert wird. Über die Sinneszellen auf der Zunge nehmen wir die Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und umami wahr. Die feinen Nuancen eines Geschmacks steuert unser Geruchssinn bei. Ein Reiz von Verkostungen ist es, Geschmack und Geruch einzeln bewusst wahrzunehmen und sie danach gemeinsam mit den optischen, haptischen und akustischen Eindrücken zu einem köstlichen Ganzen verschmelzen zu lassen.

© Brotsommeliere Viktoria Hönegger bei der Arbeit

VERKOSTEN MIT VIKTORIA 
Eine persönliche Verkostungsanleitung der Brotsommeliére im Entdeckerviertel:
„Jede Verkostung startet mit der Begutachtung des äußeren Eindrucks eines Brotes. Hier schaue ich auf die Form, die Bräunung und die Kruste. Mit der Hand und den Fingern erfolgt ein haptischer Test: wie weich oder fest ist das Brot? Hört man ein Knacken oder Knistern, wenn man das Brot drückt?
Bevor es ans Verkosten geht, wird das Brot angeschnitten – ein sehr wichtiger Moment, der mit Achtsamkeit erlebt werden sollte, denn dieser Eindruck sagt einiges über das verkostete Brot aus. Mit dem Anschneiden öffnen wir das Brot und machen es für die weiteren Sinneswahrnehmungen zugänglich. Der erste Blick auf das aufgeschnittene Brot bringt die nächsten Informationen. Wie fein oder regelmäßig ist die Porung? Sind Brotgewürze, Saaten, Nüssen, Früchte, Kräuter oder andere Backzutaten sichtbar? Was verrät die Farbe der Krume über das verwendete Mehl? Dann riechen wir am Brot – wir suchen nach Geruchsassoziationen, die uns auf den aromatischen Aufbau des Brotes und die wichtigsten Zutaten hinweisen. Der erste Biss ermöglicht eine umfassende Wahrnehmung durch die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge und im Gaumen sowie durch unsere Sinneshärchen in der Nase. Mit jedem Biss gewinnen wir Informationen über die Textur und das Mundgefühl des Brotes: ist es weich-saftig oder körnig-krümelig, ist es leicht kaubar oder will es kräftig zwischen den Zähnen zermahlen werden, welche Aromen sind am deutlichsten spürbar? Im Selbstversuch kauen wir einen Bissen sorgfältig, speicheln ihn ein und verteilen ihn am Gaumen. Dann atmen wir sachte bei leicht geöffnetem Mund ein. So werden die retronasalen Geruchszellen aktiviert und liefern uns die volle Bandbreite an Brotinformation. Am Ende der Workshops besprechen wir jedes Brot in der Gruppe. Dabei zeigt sich, dass nicht alle TeilnehmerInnen Gerüche und Geschmack gleich empfinden. Daher ist eine Brot-Verkostung für jede und jeden ein individuelles Abenteuer für die eigenen Sinne.“

Die Österreichischen Brotansprache.
Die Beschreibung der Brote ist in vier Bereiche unterteilt. Zu Aussehen, Geruch, Geschmack und Textur (Mundgefühl) wurden 39 Eigenschaften definiert, mit denen sich Brot beschreiben lässt. In der rechten Spalte ist zu jeder Eigenschaft eine nähere Definition angeführt oder die unterschiedlichen Ausprägungen dieser Eigenschaft aufgelistet.

Broteigenschaften                                         Definition, Ausprägungen

Aussehen
Porengröße                                                    Kuchenporung, feinporig, mittelporig, grobporig
Flauschig / wattig                                        Das Brot sieht weich und feucht / weich und trocken aus
Luftig                                                                 Wirkt leicht, locker, Souffléartig                              
Krumenfarbe                                                 Es gibt einen Farbfächer mit 20 Farbtönen
Sichtbare Zutaten in der Krume           Saaten, Körner, Nüsse, Gewürze, Früchte etc.        
Ausgeprägte Kruste                                    Krustenstärke von mehr als 2 mm

Geruch
Süßlich                                                            Malzig, Brioche, Honig, Karamell etc
Milchsäure                                                     Nach neutralem Joghurt und Milchsäure                
Mostig                                                              Apfel-Birnen-Most, Apfelessig, Kletzen etc
Mehlig                                                              Nach frisch gemahlenem Mehl
Hefe                                                                  Nach frischer Hefe
Röstaromen                                                  Getoastetes Brot, Butterbrösel, Kaffee etc
Frisch-grün-erdig                                        pflanzlich-gemüsig, erdig, kräftig, Roggen
Nussig                                                              Nach Walnuss, Haselnuss, Dinkel
Erdnuss                                                           Nach Erdnüssen in der Schale
Würzig                                                             Nach Brotgewürzen wie Anis, Kümmel, Fenchel etc

Geschmack
Süß                                                                   Grundgeschmacksrichtung süß
Salzig                                                               Grundgeschmacksrichtung süß
Frisch-grün-herb                                        Kräftig, grün, pflanzlich, frisch-herb, mild-bitter
Milchig                                                            Nach Kuhmilch
Milchsäure-Joghurt                                  Nach neutralem Joghurt und Milchsäure                
Mostig                                                             Apfel-Birnen-Most, Apfelessig, Kletzen etc  
Getreide                                                         Nach frisch gemahlenem Mehl        
Malzig / Karamell                                       Malz oder Karamell
Röstnote                                                        Getoastetes Brot, geröstete Brösel, Kaffee             
Nussig                                                             Walnüsse, Mandeln, Dinkel
Erdnuss                                                          Erdnüsse in der Schale
Würzig                                                            Nach Brotgewürzen wie Anis, Kümmel, Fenchel etc

Textur
Saftig                                                              Als Gegensatz zu trocken
Elastisch                                                       Formstabil beim Zusammendrücken
Körnig                                                            Größere Partikel spürbar
Al dente                                                         Kurzer Biss, nicht zäh, stabile Kruste, Kauwiderstand
Wattig oder Flaumig                                Weich und trocken oder Weich und feucht
Luftig                                                              leicht, locker, souffléartig
Knusprig                                                       Knuspriger Kruste 
Kompakt                                                       Als Gegenteil von wattig und flauschig

© Der Anschnitt sagt viel über ein Brot aus
© Die Krume gibt ihre Aromen frei